Törnberichte
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St.Lawr.-Strom&Nova Scotia
- Donnerstag, 30. September 2010
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Wer kennt sie nicht, „Die Prophezeihungen von Celestine“ - ich verrate dir die Prophezeihungen von Christian für mich: „Wenn du die wilden Küsten von Nova Scotia umsegelt hast, dann bist du eine wirkliche Seefrau! „
Na, dann lass mich mal erzählen.
Wenn du auf die Landkarte unserer Route schaust, siehst du, dass der St.Lawrence Strom immer weiter wird und sich schlussendlich in einen Golf ergiesst, der so breit ist, dass die gegenüberliegenden Ufer ausser Sichtweite liegen. Südlich siehst du die Landzunge Gaspésie und noch mehr Richtung Süden liegt Nova Scotia.
Dieses Gebiet haben wir in den letzten Wochen kennengelernt.
Ich möchte dir das unvergessliche Erlebnis schildern, das wir hatten, als wir Tadoussac adieu gesagt haben. Es ist morgens um 5 Uhr, es dämmert. Der Himmel zeigt alle Schattierungen von dunkelblau über hellblau und wechselt gegen den Horizont hin in ein hellrosa-orange-gelb. Das Meer ist glatt und seine Oberfläche übernimmt die Farben des Himmels. Über dem Wasserspiegel hängt in weiter Ferne ein Hauch Nebel. Samuri schneidet ihre Spur ins ruhige Wasser. Und dann begrüssen uns Wale, Delphine und Robben. Da und dort tauchen sie auf, stossen ihre Luft aus und gleiten in ihrer Eleganz zurück ins Wasser. Sie hinterlassen dabei kleine Wellen, die sich weiten und irgendwann wieder in die Ruhe des Meeres übergehen. Wir werden nicht satt mit Schauen und Staunen - ein wunderbares Schauspiel.
Rund um Gaspésie tauchen wir in die Maritimen Provinzen Kanadas ein. Wir treffen eine kaum zerstörte Idylle an: unverbaute Küsten, kleine intakte Orte, klares Wasser und an jeder Landzunge gibt es einen urtümlichen, manchmal noch bewohnten Leuchtturm. Diese Strecke nennt sich auch die Leuchtfeuer-Route.
Überall präsent sind Spuren der jahrhundertealten Seefahrertradition. Fast jedes kleine Dorf hat sein eigenes Maritimes Museum. Dieses führt uns auf eine Reise in die Vergangenheit und lässt bei uns für die unglaublichen Leistungen der damaligen Seefahrer nur Bewunderung aufkommen. Sie sind damals in dieser rauen Gegend, die mit so vielen kleinen Inseln bestückt ist, ohne technische Navigationsgeräte und ohne Motoren gesegelt.
Die touristische Infrastruktur ist altmodisch und weniger perfektioniert als anderswo. Wir sehen in einem Dörfchen oft nur eine Handvoll Häuser, ein Bed & Breakfast, einen Einkaufsladen, eine grosse Kirche und eine Bibliothek mit öffentlichem Internetzugang. Die Häfen sind klein und vor allem von den vielen Fischerbooten besetzt, die ihre tägliche harte Arbeit auf dem Meer verrichten.
So entscheiden wir uns, touristische Attraktionen aus dem Führer herauszupicken und unsere täglichen Stopps ihnen anzupassen. Und es hat sich immer gelohnt.
Wir machen zum Beispiel in Percé Halt, wo der Felsrücken der Gaspé-Halbinsel in steilen Kalksteinklippen zum Golf St.Lawrence abfällt. Der 450m lange Rocher Percé liegt hier direkt vor der Küste. Dieses geo-morphologische Wunder mit seinen fast 90 Meter hohen Klippen und einem Torbogen in der Mitte ist bei Flut wasserumspült, bei Ebbe zu Fuss erreichbar. Je nach Tageslicht leuchtet er mal rot, mal gelb.
Der Felsrücken aber gehört allein den Tölpeln, die in diesem Gebiet beheimatet sind. Auf der Ile Bonaventura besuchen wir ihren Geburtsort. Die Wanderung dahin führt auf kleinen Pfaden durch Feld und Wald und manchmal der Klippe entlang, bis sich dann die weltweit grösste Brutstätte der Tölpel vor uns öffnet. So etwas haben wir noch nie gesehen (gehört und gerochen....). Es sind ungefähr 50‘000 Tiere, die hier am Paaren, Nest bauen, Brüten, Füttern, Putzen, Fliegen, Schnattern und Flattern sind. Obwohl wir inzwischen Hunger haben, müssen wir unseren Mittagsrast an einen ruhigeren und fliegenärmeren Ort verlegen.
Inzwischen haben wir den nördlichsten Punkt unserer Reise schon hinter uns und sind nur noch in südlicher Richtung unterwegs. Ein nächstes Ausflugsziel ist Bouctouche. Hier radeln wir mit unseren Velos auf sich schlängelnden Kieswegen durch den verträumten Wald und erreichen nach fast zwei Stunden die kilometerlange Sanddüne, die dem Land vorgelagert ist. Ein Holzsteg lädt zum Wandern ein, auf dem Rückweg aber trainieren wir gerne unsere Fussmuskeln im Sand und im für uns wieder warmen Wasser der Lagune.
Wir haben unglaubliches Wetterglück. Es hat noch keinen Tag so richtig geregnet und mit dem hier so bekannten und gefürchteten Nebel haben wir auch noch keine Bekanntschaft geschlossen. Dementsprechend bin ich meinem Ziel „Seefrau“ noch nicht viel näher gekommen.
Von der Halbinsel Gaspésie geht unsere Reise weiter zur Prince Edward Island. Wir passieren dabei die Confederation Bridge. Mit ihren 13 Kilometern Länge ist sie eine der längsten Brücken der Welt und verbindet die Insel mit dem Festland. Wir ankern vor der Hauptstadt Charlottetown. Diese Stadt wurde 1768 gegründet und hat ihr ursprüngliches britisches Gesicht behalten. Ausgerechnet an unserem Ruhetag regnet es in Strömen. Doch auch hier sehen wir einen Nutzen. Christians ausgetüfteltes System zum Wassersammeln kommt hier zum vollen Einsatz. Für unseren Wasserbedarf der nächsten Tage ist wieder ausreichend gesorgt.
Es geht weiter in der Geographiestunde:
Nova Scotia, Prince Edward Island und New Brunswick sind die kleinsten Provinzen Kanadas. Sie werden auch „The Maritimes“ genannt, da sie ganz oder überwiegend vom Meer begrenzt werden, nämlich vom offenen Atlantik, vom Gulf of St.Lawrence und der Bay of Fundy.
Der Name Nova Scotia steht für eine zerklüftete, mal felsige, mal lieblich grüne Atlantik-Küste mit unzähligen, romantischen Fischerhäfen. Und dies können wir nur bestätigen. Gerne füge ich hier an, dass wir überall, sei es in Häfen, an Ankerplätzen, in Dörfchen, in Restaurants oder in Läden, nur hilfsbereite, offene und sehr freundliche Menschen kennengelernt haben. Den Höhepunkt dazu erleben wir eines morgens kurz vor dem Ablegen aus einem Fischerhafen. Ein Fischer kommt zu unserem Schiff und meint lachend: have a nice day! Er streckt uns ein Säcklein entgegen. Darin sind 5 riesige, fangfrische Thunfischfilets eingepackt. Stell dir eine solche Situation mal in der Schweiz vor! All diese wunderbaren Erlebnisse geben unserer Reise natürlich einen sehr positiven Touch.
Während der ganzen Strecke, die ich dir in diesem Blog beschreibe, führe ich Logbuch. Das heisst, ich schreibe jede Bewegung unserer Samuri, sei es am Morgen ablegen, Segel hissen, Kursänderungen, Segel bergen, Windstärke, Fahrtgeschwindigkeit, Meilen usw. in mein Logbuch auf. Um endgültig meinen Hochseeschein zu erhalten, muss ich mein Logbuch mit 1000 genau dokumentierten Seemeilen einreichen. Dann folgt die hoffentlich positiv ausfallende Prüfung meines Logbuches durch einen Experten und dann, hoffe ich doch....
Neben all den vielen Reiseerlebnissen braucht Samuri natürlich auch ihre Pflege. Ich flicke Segel, die von der starken Belastung an den Kanten ausfransen, wir erneuern Fugen in der Küche, Christian ersetzt defekte Wasserpumpen, wir spüren Lecks auf, die Wasser in unsere Kajüte tropfen lassen, Christian justiert die WC-Pumpe, ich poliere den Chromstall und so weiter. Die Arbeit geht uns nie aus. Aber sei doch ehrlich, auch du denkst doch, dass wir neben all dem „dolce far niente“ auch noch etwas arbeiten können :-).
Anfang September dreht sich das Gespräch unter den Seglern nur noch um eines, den Hurrikan Earl. Im Moment tobt er auf dem offenen Atlantik. Wenn wir aber die Animation auf unserem Kartenplotter anschauen, steuert er ziemlich direkt auf Nova Scotia zu. Wir haben also noch vier Tage Zeit, um uns in ein sogenanntes Hurrikanhole zurückzuziehen. Wir melden uns telefonisch in Liscombe Harbour an und liegen schon zwei Tage später in einem kleinen Flussarm zwischen hohen Bäumen vor Anker. Beim Hafen gibt es eine Lodge. Sie ist aus Holz gebaut und könnte in den Schweizer Bergen oder in einem Skigebiet in Österreich liegen. Anscheinend zieht es die Europäer hier hin, denn wir treffen ein Ehepaar aus England und eine Familie aus Holland an, die mit ihrem Segelschiff auch Schutz suchen. So ergeben sich neue Freundschaften und jeder hilft dem anderen beim optimalen Sichern des Schiffes vor dem erwarteten Sturm.
Es bleibt noch genügend Zeit, die Wanderschuhe anzuziehen und den vorgeschlagenen dreistündigen Rundgang anzutreten. Wir wandern einmal mehr durch einen Märchenwald. Die Wege sind etwas mühsam, doch wir entdecken Flechten, Pilze, Moosplätzchen, es ist Natur pur. Vögel singen, emsige Eichhörnchen knabbern zwei Meter vor uns ihre Nüsse und einige Schlangen machen sich erst aus dem Staub, nachdem sie von Christian einen Stups bekommen haben. Wir besichtigen die Lachstreppen und gönnen uns in der Quelle des sehr eisenhaltigen lauwarmen Wassers ein Bad.
Aber der Tag kommt. Am Morgen wird es kaum hell. Wind kommt auf. Christian sitzt am Computer, ich verziehe mich zur Ablenkung in die Küche und backe Guetzli und Schokoladenkuchen. Der Wind bläst inzwischen mit über 30 Knoten und es hat zu regnen angefangen. Ich höre, wie unsere Ankerkette belastet wird und sich knarrend dehnt, wenn wieder eine Böe über uns weg fegt. Inzwischen lesen wir auf dem Windanzeiger 50 Knoten. Und plötzlich bemerken wir, dass Samuri nicht mehr hält. In diesem Moment geht der Ankeralarm los. Unsere beiden Anker haben sich gelöst! So schnell war Christian noch nie am Steuer und ich noch nie im Regenanzug. Mit Vollschub dampft Samuri gegen den Wind, ich hole die Anker auf und setze sie neu. Diesmal stecken wir 60 Meter Ankerkette. Und Samuri hält. Für die nächsten zwei Stunden kleben unsere Nasen an der Scheibe und wir überwachen minuziös.
Glück im Unglück und viel gelernt, uff!
Unsere Reise führt uns weiter nach Halifax, der Hauptstadt von Nova Scotia. Es ist eine lebendige, geschäftige Stadt mit farbigen Backsteinhäusern oder Bauten im viktorianischen Stil. Einmal mehr lassen wir es uns gut gehen und verköstigen uns mit feinstem Lobster und Krabbenfleisch.
Beim Verlassen von Halifax fahren wir an Peggy‘s Cove vorbei. Von weitem sehen wir das Denkmal, das nach dem Absturz der DC-10 der Swissair im Jahre 1998 errichtet wurde.
Eine der nächsten erwähnenswerten Stationen ist Lunenburg. Dieses von Deutschen, Schweizern und Franzosen gegründete Städtchen mit seinen Häusern in den buntesten und grellsten Farbtönen wurde 1995 wegen seiner 250-jährigen Holzarchitektur „als besterhaltenes Beispiel für britische Siedlungen in Nordamerika“ zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.
Und wie geht es der Seefrau?
Gute Frage! Auf der letzten Fahrt nach Yarmouth, von wo wir die Überfahrt nach USA antreten werden, will es Nova Scotia doch noch wissen!
Wir sind an jenem Tag 6 Stunden unterwegs. Es regnet, es blasen 25 Knoten, es ist neblig und Samuri tanzt auf 3 bis 4m hohen, kurzen und somit ziemlich ungemütlichen Wellen. Nicht nur die Seefrau, auch Christian ist froh, am Abend dieses Tages wieder im ruhigen Hafen zu liegen.
So geht unsere Reise zwischen den grossen Seen und dem Atlantik zu Ende. Das Land hat uns eine unvergessliche Zeit beschert. Ein kleines Stück der Ostseite haben wir kennengelernt. Wir stellen uns vor, die Westseite im nächsten Jahr mit einer Rundreise per Auto zu erkunden.
Kanada, wir kommen gerne wieder!
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